Voyeurismus und geistige Komplizenschaft im Splatterfilm
von Alexander Amberg
Splatter ist geil, stimmt’s? Natürlich, schließlich machte der Rock’n Roll dem klassischen Monsterfilm den Garaus. Spätestens als Urvater Elvis Presley die Bühne betrat, war Christopher Lee alias Dracula weg vom Fenster und Boris Karloff konnte sowieso einpacken. Filmwerwölfe degenerierten zu pubertierenden Teenagern, das Genre lavierte hart an der Grenze zur Parodie.
Mit Psycho holte kein Geringerer als Altmeister Alfred Hitchcock den Horror in die Realität zurück. Das Numinose war von jetzt an nicht durch das Übernatürliche, sondern psychologisch erklärbar. Norman Bates, der seine Mutter tötete und aufaß, war schizophren. Jedesmal wenn er weiblichen Reizen zu erliegen drohte, schlug Mama zu und tötete die Rivalin. Wie Hitchcock die Zeichensysteme des klassischen Horrorfilms und des Krimis in der Kameraführung miteinander vermengt, kann man nachlesen bei Norbert Stresau, Der Horrorfilm, Von Dracula zum Zombieschocker, hg. von Bernhard Matt (München, 1987), S. 151f.
Vor über 30 Jahren, 1963 um genau zu sein, gebar Herschell Gordon Lewis mit Blood Feast den Splatterfilm, von frühen Kritikern auch als „Gewaltpornographie“ bezeichnet. Freunde sinnloser Gewalt und fließender Blutströme werden enttäuscht sein zu hören, daß der sogenannte Splatterfilm letztlich nichts anderes ist als systembestätigend. Trivial heißt eben, die Massen anzuziehen, und am besten zieht man sie an, indem man ihnen erzählt, was sie hören wollen, was sie kennen und was ihnen sowieso keine Schwierigkeiten bereitet. Bloß keinen Stoff zum Nachdenken. Bestehende Wertsysteme bestätigen, so daß man sagen kann: Ja, das habe ich auch gewußt. Sorry, Freunde, aber das ungefähr sagt Stresau.
Splatter ist ganz sicher nicht der Rock’n Roll des Horrorgenres. Auch wenn neuerdings wieder pfiffige Regisseure versuchen, die Pornographie zum Nonplusultra der freien Meinungsäußerung zu stilisieren, kann man nur feststellen, daß Hardcore ein plattes Mittel kollektiver Selbstbefriedigung bleibt. Die Scheußlichkeiten muß ich im einzelnen nicht beschreiben. Wer Splatter mag, kennt sie. Wer sie nicht kennt, versäumt auch nichts.
Wie in der billigsten Pornographie sind Signifikat und Signifikant einander gleichgesetzt. M.a.W.: Was gezeigt wird, ist das Dargestellte! Darüber hinaus gibt es nichts, denken braucht man nicht mehr! Oder doch?
Ist der durchschnittliche Splatter-Fan wirklich nicht mehr als ein debiler Psychopath? Schwere Frage! In Nightmare on Elm Street, so Stresau auf Seite 159 zur Ehrenrettung der Gemeinde, geht es gerade ums Thema Träumen, eben den Prozeß, der Darstellung und Bedeutung voneinander trennt. Was ein guter Splatterfilm aber - zu nennen ist hier z.B. Brian de Palma mit Obsession (Schwarzer Engel, Remake von Vertigo), Sisters (Die Schwestern des Bösen, ahmt Psycho nach) oder Dressed to kill - immer tut: Er thematisiert das Sehen, letztlich sich selbst. Damit dringt er in die Köpfe der Sehenden ein, macht den Zuschauer zum Voyeur, der zwar sicher im Kino sitzt, aber durch sein Sehen zum Komplizen des Täters wird. Diese Spaltung ist ein gemeingesellschaftliches Phänomen, das Deuten auf offensichtliche Probleme, für die der einzelne am Ende des 20. Jahrhunderts keine Lösung mehr findet.
Bestätigten der Exorzist und Poltergeist die Ideale einer älteren Generation und brachten den Verleihern damit Unsummen ein, wandten slasher movies wie Halloween oder Freitag, der 13. sich an ein jüngeres Publikum. Dabei verbarg sich der erhobene Zeigefinger hinter Szenen sinnloser Gewalt und Brutalität. Um es auf einen Nenner zu bringen: Wer nächtens knutscht, einen Joint raucht oder nackt badet, wird gekillt. Die emanzipierte Frau - wird auch gekillt. Als „intelligenten reaktionären Splatterfilm“ bezeichnet Stresau auf S. 178 Ridley Scotts Alien. Sigourney Weavers domestizierter Sexualität ist auch das schlimmste Weltraummonster nicht gewachsen.
Mehr noch als mit Psychologie hat Sexualität etwas zu tun mit Familie, mit Wertesystemen, mit Gesellschaft und damit mit Politik. Kein Wunder, daß man dem Sittenverfall mit der Axt oder der Kettensäge begegnet, oder?
George A. Romeros Living Dead-Trilogie, einer der ultimativen Klassiker des Genres, zeigt die kannibalistischen Untoten als „Metapher für ein sich selbst vernichtendes System“ (Stresau, S. 197). Leider sind die faschistoiden Ansätze darin etwas zu ausgeprägt, die Absage an den Faschismus bleibt etwas zu schwach, die utopische Lösung - eine neue Welt auf einer Insel zu bauen - nichts als ein Wolkenkuckucksheim.