Mircea Eliade, “Der besessene Bibliothekar”
von Alexander Amberg
Mircea Eliade, einer der größten, wenn nicht der größte Religionswissenschaftler des 20. Jahrhunderts, schrieb seinen Roman “Der besessene Bibliothekar” in den Jahren 1930 und 1931, lange bevor er Weltruhm erlangte. Der Rumäne war in seinen frühen Zwanzigern, als er in einem indischen Ashram zur Feder griff, um einen Text zu verfassen, der zwar das Epitheton phantastisch trägt, zu Recht aber philosophisch genannt werden müßte. Die äußere Handlung berührt den Bereich des Okkulten, ist aber insgesamt gesehen zu karg, um das Ganze des Romans zu erfassen.
Eines Abends ist der Bibliothekar Cesare vertieft in die Übersetzung griechischer Manuskripte, als in der Bibliothek ein Feuer ausbricht. Als er versucht zu fliehen, stehen plötzlich zwei halbnackte Männer und eine Frau vor ihm: der Direktor, seine Assistentin Melania und ein junger Journalist - Manuel. Bei dem Versuch, Melania zu retten, wird Cesare schwer verletzt und droht zu erblinden. Noch einmal erlangt er das Augenlicht wieder. Aber seine lichte Zeitspanne ist begrenzt. Cesare geht auf Reisen und mit der Zeit wird deutlich, daß er unfreiwillig Zeuge eines sexualmagischen Ritus wurde, der einen Erlöser beschwören sollte. Ist dieser Erlöser Cesare?
Nicht die Handlung macht den Roman aus, sondern die Gespräche der Figuren beziehungsweise deren Innensicht, der (geschichts)philosophische Gehalt. In indirekter Rede gibt der Erzähler ein Gespräch wieder, dessen Zeuge Cesare wurde, und zwar aus der Perspektive des Bibliothekars:
“... Der stotternde Reisende schlug anstelle eines vollkommen abhängigen und determinierten Kosmos eine Reihe von ‘Agenten’ vor, Machtmenschen oder Ideen, die plötzlich in der Welt auftreten, die elektrisieren, umstürzen, unvorhergesehene Handlungen auslösen, ohne daß jemand von ihnen wüßte. Diese Sorte Menschen, die immer nach den Ursachen forscht, ahnt oder erfindet allerlei Erklärungen, aber eine einfache Begründung kann sie nicht liefern - wenngleich es auch keine übernatürliche gibt. Cesare schätzte seine [und zwar seine eigene] tiefgehende und geradlinige Argumentation, obwohl diese von Nebensächlichkeiten und Paradoxien verdorben war.” (S. 92)
Man könnte diesen Gedankengang auf die Opposition Hegel versus Nietzsche reduzieren. Doch die ironische Anmerkung des Erzählers - “von Nebensächlichkeiten und Paradoxien verdorben” - läßt dies nicht zu. Anspielungen auf eine sozialdarwinistische oder marxistische Weltsicht finden sich zur Genüge, spiegeln letztlich aber nur eine Zeit im Umbruch wider, zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland.
Die optische Metapher - Blindheit versus Sehen - führt zurück in einen platonischen Kontext und ruft die Metaphorik der Aufklärung in Erinnerung. Tatsächlich bleibt die Reflexion über die Universalien nicht aus. Das Gegensatzpaar Ideen und Gegenstände leitet über in einen seit Jahrhunderten diskutierten poetologischen Kontext. Aber auch hier bleibt es nicht bei einer bloßen Opposition. Wo die Figur Cesare sich im Pathos zu verlieren droht, greift die Ironie des Erzählers relativierend ein und entlarvt das Pathetische als bloße Pose:
“... er würde ein Magier sein, ein Zarathustra, weil das Licht von nun an für ihn eine Nahrung wäre und keine Leere, wie für die anderen, und das Nahen des Todes würde ihn das wahre Leben schätzen lehren. Einem Erlöser gleich. Cesare opferte sich selbst. In der Agonie würde man es sehen. Seine Erblindung würde die offenbarte Wahrheit besiegeln, weil es keine Wahrheit aus bloßen Gedanken, sondern eine aus Fleisch und Blut war - wie ein Lieblingsschriftsteller Fräulein Martas zu sagen pflegte.” (S. 154)
Der junge Eliade spart nicht mit versteckten Seitenhieben auf alle Strömungen des Zeitgeists der späten Zwanziger und frühen Dreißiger Jahre. Er reflektiert die Situation des Intellektuellen in der Gesellschaft - seine absolute Nutzlosigkeit und zugleich die Notwendigkeit seiner Existenz.
Mircea Eliade, “Der besessene Bibliothekar”, Insel Verlag, Frankfurt am Main/ Leipzig 1995. Erstmals erschien der Roman 1934 in rumänischer Sprache unter dem Titel “Lumina ce se stinge” (Das verlöschende Licht).